Der letzte Heimkehrer – Ein Krimmler 7 Jahre in Sibirien

Von Ruben Weyringer |
18. November 2022

Von den russischen Kriegsgefangenen in Krimml 1915 und der berührenden Begegnung mit Pfarrer Martin Hölzl habe ichbereits berichtet. Heute möchte ich auf die Gegenseite schauen, auf Johann Scharr, seine sechs Jahre in russischer Gefangenschaft im sibirischen Krasnojarsk , seine abenteuerliche Heimreise durch Asien und einen Empfang in der Heimat ohne gleichen. „Unser Bischof ist kein eifersüchtiger Mann,“ schreibt Pfarrer Hölzl „deswegen kann es gesagt werden, wenn er oder auch der Papst auf einmal gekommen wären, hätte der Empfang nicht schöner sein können“.

 

Der Kaiserschütze Johann Scharr, „Jaggl Hans“ vom Jagglbauer in Krimml, der letzte Heimkehrer (24. April 1921) aus dem Ersten Weltkrieg.

Mich beeindruckt besonders die zwischenmenschliche Wärme mitten in der Kälte Sibiriens. Pfarrer Hölzl hat Jaggl Hans‘ Bericht in der Krimmler Pfarrchronik mitgeschrieben. Hören wir im Folgenden aus dem Munde Scharrs (bzw. der Feder Pfarrer Hölzls): „Die Bauern auf dem Land waren mit uns Gefangenen gut. […] Kommt einer in ein Haus, so setzt man sich hin und ißt man mit der Familie als gehörte man dazu. So sind sie auch mit uns Gefangenen gewesen. Das wichtigste Kleid ist der Pelz. Drei, vier Pelze sind notwendig, um nicht zu erfrieren. Kalt ist es, 40-70°.“ Es kamen auch nicht alle 700 Heimkehrer auf dem holländischen Schiff (mit englischem Kapitän und chinesischer Besatzung) allein nach Hause, denn „davon 60 auch ihre russischen Frauen mithatten.“ Freiwillig war Scharr natürlich nicht in Sibirien. „Einmal bin ich den Strom Jenisei stromabwärts gereist »auf Forschung« für Flucht. Aber zum Entfliehen kam ich nie. Wenn ich Gelegenheit gehabt hätte, hatte ich kein Geld, und wenn ich Geld gehabt hätte, hatte ich keine Gelegenheit“ schreibt er. Scharr bewahrt sich einen Blick für das Schöne. Er bewundert den „wunderschönen Baikalsee“ mit seinen Seehunden und Fischen, die zerplatzen, wenn sie aus dem Wasser herausgenommen werden. Er sammelt Muscheln auf Borneo und bringt sie als Geschenk mit nachhause. Die Haifischflosse lassen sie den Chinesen, „wir Heimkehrer waren zufrieden mit der Haut“.

 

Nach sechs Jahren Gefangenschaft und sieben Monaten Heimreise zuerst nach Osten und dann von Wladiwostok per Schiff nach Triest kam Jaggl Hans wieder in sein Krimml. Pfarrer Hölzl schreibt: „Hinauffahren ging dann langsamer, weiter oben lag viel Schnee. Aber indessen grüßten schon die Kirchenglocken, die Fahnen an den Häusern wehten entgegen, und ganz Krimml sahen wir versammelt beim Weigl. Ich ging hinter dem Wagen nach. Auf dem Wagen fuhr eine kleine Nichte mit dem Hansl, die 2 jährige Maria Wanger die schon lange von ihrem »russischen Onkel« geträumt hat.“ Dann war es Zeit für ein „Te Deum“ in der Kirche (diesen großen Lobgesang der Kirche kennen wir am besten als „Großer Gott, wir loben dich“) und einen Gang zum Grab des Vaters…

An dem Bericht über Erlebnisse aus der Gefangenschaft und die Heimkehr Johann Scharrs wird deutlich, was in schwersten Zeiten Halt gibt. Es sind die Beziehungen, Freundschaft und Respekt vor einander. Jesus fordert ja keine „Fernstenliebe“, sondern „Nächstenliebe“. Diejenigen, welche die langen und sinnlosen Kriege anzetteln und sich selbst zu Herren über Leben oder Tod machen können nicht verhindern, dass sich selbst Feinde menschlich – christlich! – begegnen. So ist es Jaggl Hans bei den Bauern Sibiriens gut gegangen und den russischen Offizieren bei den Krimmlern. Möge dies ein Vorbild für unsere Zeit sein!

Wer war Johann Scharr?

Johann Scharr wurde am Morgen des 19. Jänners 1886 in Neukirchen geboren und noch am Abend des selben Tages getauft. Er verstarb am 6. Dezember 1970 in Salzburg. Sein Vater hieß ebenfalls Johann Scharr. Er wurde am 15. November 1859 geboren, Heiratete 1895 Johanna Nindl aus Bramberg und verstarb am 23. Juni 1920 an Pneumonia (Lungenentzündung), nicht einmal ein Jahr vor der Heimkehr seines Sohnes. 

Jaggl Hansl berichtet von seiner Kriegsgefangenschaft und Heimreise

Eine Anmerkung zur Quelle: Pfarrer Martin Hölzl berichtet in der Krimmler Pfarrchronik auf 9 Seiten vom „Jaggl Hansl“. Einen Großteil davon hat Pfarrer Hölzl wohl mitgeschrieben als er den Erzählungen des Heimkehrers lauschte. Entsprechend ist die Schrift noch dynamischer als sonst bei Pfarrer Hölzl. Wo ich unsicher bin, habe ich eine Lücke freigelassen und mit Unterstrichen gekennzeichnet________. Dies ist vor allem gegen Ende der Fall. Für Hinweise und Tipps bin ich sehr dankbar (Siehe die Originalseiten). Wo ich unsicher war steht ein Fragezeichen in Klammer (?) sowie Anmerkungen in eckigen Klammern []. Ganz unten sind die Einzelseiten noch einmal groß abgebildet.

[Zunächst die Einleitung von Pfarrer Hölzl]

[Seite 7]

Ich schrieb an die ___ Chronik

Krimml 24/4 21

(_____)

Heimgekehrt das Schiff __________hat auch uns einen Heimkehrer gebracht, den letzten, – Johann Scharr vom Jagglbauer. Im Sep. 14 wurde er gefangen genommen. Die meiste Zeit seiner Gefangenschaft verbrachte er in Krasnojarks am Jenisei Sibirien.

Am 3. Okt 20 traten sie die Heimreise an, nur jene nicht west sondern ostwärts. Am 20. März bestiegen sie das Schiff in Wladiwostok. Es waren ihrer 700 Heimkehrer, davon 60 auch ihre russischen Frauen mithatten. Aus dem japanischen(?) Meer fuhren sie herab zum schönen chinesischen Hafen Hongkong vorbei an der ungemein fruchtbaren Küste Hinterindiens (Aman) und gelangten an den südlichsten Punkt ihrer Reise, nach Singapur, beinahe schon am Äquator. Singapur liegt sehr schön auf einer kleinen Insel zu welcher die Tiger vom Festland hinüberschwimmen.

[Seite 8]

Es wird das London von Ostasien genannt und ist Stapelplatz für alle Erzeugnisse Asiens und der Mittelpunkt der ostasiatischen und australischen Schifffahrt.

Durch den indischen Ozean ging es in das Rote Meer, wo später unsere Heimkehrer die Halbinsel u. den Berg Sinai ______. Das Schiff durchfuhr den Suezkanal, kam ins Mittelländische Meer und am Samst. (vor 8 Tagen) landete es in Triest.

Scharr erzählt von der Reise durch Asien, Krasnojarsk – Meer

[Hier beginnt die Erzählung von Johann Scharr]

Im Westen waren wieder kämpfe u. Unruhen, so konnten wir in diese Richtung und über Stettin (?) nicht heimreisen. Für die Russen war übrigens die Strecke nach Osten bis zum Meer kürzer, und hatten sie weniger lang für uns zu sorgen und hatten uns früher draußen. An einem Nebenfluss des Jenisei am ______ brachte uns die Eisenbahn zum wunderschönen Baikalsee. Der Baikalsee ist der größte Alpensee der Erde und wird von den anwesenden ______ auch das heilige Meer genannt, das „heilige Meer“ weil sie Gebete an dasselbe richten und Opfer geloben um sich eine günstige Überfuhr zu sichern.

[Seite 9]

Einen langen Teil des Jahres ist er zugefroren. Beim russisch-japanischen Krieg sind sehr viele Russen, die an die japanische Front gehen sollten, auf dem Eise des Baikalsees eingebrochen und zugrunde gegangen.

Wir mußten immerfort nach Osten und kamen an den Fluße Amur. Noch vom Baikalsee. In diesem See sind Seehunde solche wie im nördlichen Eismeer sind. Man sagt, das Eismeer reichte einmal bin in die Gegend des Baikalsees. Auch hier Fische in dem See, welche vom Wasser herausgenommen zerplatzen.

Den Amur entlang hatten wir rechts die Mandschurei. An seinem Nebenflusse Sungari fuhren wir dann eine Zeit lang Strom aufwärts, bis wir den Fluß verließen und nicht mehr weit zum Meer gehabt hätten. Da wurden wir aber lange aufgehalten in Nicol____ [ev. Nikolajewsk?], 400 Werst ___ am Meer, (1 Werst etwas weniger als 1 km), aufgehalten, weil dort Krieg war.

In Krasnojarsk war ich angestellt bei der Stadtgemeinde, meist im Stall. Einmal bin ich den Strom Jenisei stromabwärts gereist „auf Forschung“ für Flucht. Aber zum Entfliehen kam ich nie. Wenn ich Gelegenheit

[Seite 10]

gehabt hätte, hatte ich kein Geld, und wenn ich Geld gehabt hätte, hatte ich keine Gelegenheit. So musste ich immer warten. – Ich traf dort den Gru____ Sepp aus Bramberg Josef Wallner und einen gewissen Kapeller aus Piesendorf. In der Nähe der Stadt in einem Lager erfuhr (?) ich den Bramberger Bauer Hofer. Der war krank und es ist ihm nicht gut gegangen. Ich brachte ihm etwas wenn ich was hatte. „Wenn wir daheim sind, kommst du zu mir“ sagte er dann, „ich geb dir dann Schnaps und alles was ich dir geben kann. Hofer kam _____sehr heim. Ich muß ihn besuchen.

Unserige Officiere waren auch in Krasnojarsk; sie bezogen vom russischen Staat monatlich 50 Rubel Gage. (wie auch die russischen in Österreich). Uns Mannschaft halfen sie nichts. Wenn wir gehört oder gelesen haben, daß uns Geld geschickt worden sei, so sagten wir, sie sollten uns geben. Sie antworteten „wir geben es im Spitale ab“. Gelebt hätten wir billig. Zwei Kaffe (?)um einen See (1 Kreuzer (?)), 1 Brot um einen See. [warum See?]. Die Bauern auf dem Land waren mit uns Gefangenen gut. Die Bauern, die den Städten ferne sind, wohnen (?)ganz frei. Sie haben ihren Besitz

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nicht abgegrenzt. Für ihre Herden haben sie so viel Platz, daß alle leicht auskommen auf den Weideländern. Auch ihre Bauländer grenzen sie nicht ab. _____ __________ Häuser da, so ________________ den anderen dort. Dem einen ist es recht so, und dem anderen.

Kommt einer in ein Haus, so setzt man sich hin und ißt man mit der Familie als gehörte man dazu. So sind sie auch mit uns Gefangenen gewesen. Das Wichtigste Kleid ist der Pelz. Drei, vier Pelze sind notwendig, um nicht zu erfrieren. Kalt ist es, 40-70°.

Die Bauernhäuser sind nicht aus Stein sondern aus Holz, Rundholz. Schlafen tun die Leute auf dem Boden. Es steht ein Bett im Raum, aber da legt sich niemand hinein. Auf dem Bett liegen Tagsüber die Decken und Polster. Und wenn es zum schlafen gehen wird, so breiten sie die Decken auf dem Boden aus. Uhr haben sie keine. Im Sommer ist es nie ganz dunkel. Um ½ 12 geht die Sonne unter, und um ½ 1 kommt sie etwas weiter drüben schon wieder. Die Winternächte sind lang.

Der uns ____ war Oberst Van der Heln (?), kommt aus Holland. Als Major wurde er mit uns gefangen genommen, u. auch nach Krasnojarsk gebracht. Dort nahm er sich gleich unser

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an, verschaffte uns einen Desinfektor (?) ___. Von Österreich zurückgelangt kam er wieder in den Krieg gegen Italien. Die Russen tauschten ihn uns für einen anderen. Er kam aber dann wieder in Gefangenschaft und wieder zu uns und half uns wieder. Er wusste, wann er den Russen schimpfen mußte und wann schmieren.

Endlich ist es ihm gelungen, ein Schiff zu Schartern (zur Miete zu bekommen). Das holländische Lastenschiff Gajarat (?). Kapitän des Schiffes war ein Engländer, ein gemütlicher Mann, weiß niemand wie er geheißen hat.

Die Fahrt war wunderschön. Zu leben hatten wir genug. Um 7h Hafergrütze, Tee und Brot, ½ 12 Schweinefleisch. Gekocht haben Chinesen, die Matrosen waren auch alles Chinesen. Um 6h Gulasch. Zum meisten lebten wir vom Schweinefleisch.

Auf dem Schiff waren 14 von Salzb: die meisten aus der Stadt und vom flachen Land, einer aus Pongau, und einer aus Pinzgau, ich. Auch ein geistlicher war auf dem Schiff, P. Lux,

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Vom 59. i.R. der fuhr nach Wien.

In Sarawak auf der Insel Borneo hielten wir und steigen wir aus. Ich sammelte viele Muscheln. ((Mir gab Hansl auch eine so Meer ____ _____))

Ich bewahre es auf im Archiv.

Beim sammeln kamen unser zwei Landeinwärts, auf einmal hatten wir einen großen ____ vor uns. Wir wussten schnell nicht was anfangen, aber auch er nicht, und er floh. Chinesisches Gew [Gewand] bekamen wir auch dort (u. wurden Schiffschinesen), das in der Mitte durchlocht ist. Sie tragen das Gewand nicht in ___, sie schnüren es an.

Von der Einfahrt ins Rote Meer standen wir unfreiwillig, es mußte an der Maschine etwas nachgebessert werden. Dort fingen wir einen Haifisch. Der Capitän hat ihn erschossen. Die Chinesen bekamen die Floßen, sonst ist nichts zu essen vom Hai, aber die Flossen gelten als ein Leckerbissen. Wir Heimkehrer waren zufrieden mit der Haut.

Die dalmatische Küste war uns sehr schön. Vor Triest sprang ein Heimkehrer ins Meer, er war Geistesgestört.“

Die Ankunft in Krimml: Unser Bischof

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Ist kein eifersüchtiger Mann, deswegen kann es gesagt werden, wenn er oder auch der Papst auf einmal gekommen wären, hätte der Empfang nicht schöner sein können.

____ ____die Leute haben sich schon alle zerstreut, kam _____Anton herauf und überbringt die Telegrafische Meldung dem Bürgermeister der Jaggl Hansel ist auf dem Zug. Der Zug kommt aber schon in einer halben Stunde.

Der Bürgermeister schickt ein Pferd hinunter. Ich ging schnell und als der Zug einfuhr, war der Hansel sein Bruder der Joggl und ich auf dem Bahnhof. Als wir ___in dem Rastzimmer (?) des  _____ waren, kamen die Angehörigen, die Musik u. u. telegrafiert ha es___ Feuersinger der den Hansl in Mittersill auf dem Zuge bemerkte.

Hinauffahren ging dann langsamer, weiter oben lag viel Schnee. Aber indessen grüßten schon die Kirchenglocken, die Fahnen an den Häusern wehten entgegen, und ganz Krimml sahen wir versammelt an

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dem Weigl. Ich ging hinter dem Wagen nach. Auf dem Wagen fuhr eine kleine Nichte mit dem Hansel, die 2 jährige Maria Wanger die schon lange von ihrem „russischen Onkel“ geträumt hat.

Die Spitze der ___ ___ ____ die Schulkinder mit den Fahnen. Wie der Wagen nahte, riefen sie ___kommt der Hansl___, 7 ½ Jahre war er aus. Dann begrüßten ihn die Gemeinde, die Vereine u. zuletzt Nationalrat Geisler im Namen der Republik. Und dann kam jedes daran (?), jung und alt, wie er so durch die Reihe ging und viele Tränen glänzten in den Augen. Schließlich beim Weigl kam herab (?) ___ wir (?) wieder (?) die ersten, die Jaggl Mutter mit dem Hansl u. ich und wir gingen in die Kirche.____ ____: _____ ____________ ________ _______wir ein Te Deum u. begrüßte ich den Hansl im Gotteshaus. (Diese Ansprache u. die am Bahnhof vor der Wirtshaustür waren die einzigen, die ich in meinem Leben ganz aus dem Stehgreif hielt. Ich führte Hansl zum______, wo ich ihm seinen Bruder Josef ____zeigte: und zum Grabe des Vaters.

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